04. September 2017

Anhörung im Landtag

Paragraph 19 Absatz 6 LBG steht vor dem Aus

Am 1. Juli 2016 trat ein Gesetz in Kraft, welches es nach Meinung der DPolG NRW sowie nach Auffassung führender Verfassungsrechtler – aber auch nach Meinung der vielen Beschäftigten im öffentlichen Dienst – niemals hätte geben dürfen.

Im Rahmen der Dienstrechtsmodernisierung wurde die Frauenförderung im öffentlichen Dienst gesetzlich verankert.

Die ehemalige Landesregierung aus SPD und Grünen hatte erkannt, dass in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung Frauen seltener in Führungsverantwortung gelangen als Männer. Dies trifft auch bei der Polizei zu. Daher wurde der § 19 (6) LBG eingeführt, welcher Frauen bei im Wesentlichen gleicher Leistung (gleiche Note, aber schlechterem Ausschärfungswert der Beurteilung) eine Bevorzugung gegenüber männlichen Mitbewerbern sichern sollte. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen bezeichnete das Gesetz als wichtigen Schritt zur Überwindung von geschlechterspezifischen Benachteiligungen. Sie erhoffte sich in einem Interview, welches der WDR mit ihr geführt hatte, eine Klagewelle männlicher
Kollegen, die aufgrund des neuen Gesetzes keine Beförderungsoptionen mehr haben würden, weil dies die Wirksamkeit der neuen gesetzlichen Regelung dokumentieren würde.
Die FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen bemängelte noch vor Verabschiedung des Gesetzes die fehlende  Verfassungskonformität und erklärte sodann, dass sie beabsichtigen würde, das Gesetz vor dem Landesverfassungsgerichtshof
NRW durch ein Normenkontrollverfahren überprüfen zu lassen.
Da die Liberalen aber nicht über die ausreichende Anzahl der Mandate verfügte, benötigte die FDP für ein derartiges Verfahren die Unterstützung der CDU. Diese wurde bis Anfang 2017 verweigert. Erst dann änderte die CDU ihre Position, sodass es letztlich doch zur Betreibung eines Normenkontrollverfahrens kommen konnte.
Nach der Landtagswahl wurde im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP beschlossen, das neue Gesetz
wieder aufzuheben und die zuvor geltende Bestimmung wiedereinzuführen (der POLIZEISPIEGEL berichtete).
Der Gesetzentwurf der Regierungsparteien, welcher den Titel „Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes Nordrhein-
Westfalen und weiterer landesrechtlicher Vorschriften“ trägt, beschreibt eingehend die vielen Schwierigkeiten und Problemstellungen, die der § 19 (6) LBG für die Kolleginnen und Kollegen hervorgebracht hat. Insbesondere wird darauf verwiesen, dass inzwischen über 100 Klageverfahren in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung nahezu einen  Beförderungsstopp bedeuten. Die Lösung des Problems lautet: „Einstweilen wird die bis zum 30. Juni 2016 geltende Rechtslage
wiederhergestellt.“ Nun befindet sich der Gesetzesentwurf von CDU und FDP in der parlamentarischen Mitbestimmung, zu welcher auch die Sachverständigenanhörung in den zuständigen Fachausschüssen des Landtages gehört. Die DPolG NRW ist als sachverständige Organisation geladen und wird Anfang September, vertreten durch den Landesvorsitzenden der DPolG NRW,
Erich Rettinghaus, sowie dessen ersten Stellvertreter Frank Mitschker ihre Expertise in den Landtag einbringen. Nachfolgend wird der POLIZEISPIEGEL die Stellungnahme der DPolG in wesentlichen Auszügen vorab präsentieren.
Erich Rettinghaus und Frank Mitschker bekräftigen in ihrer Stellungnahme, dass die DPolG NRW ebenfalls die Notwendigkeit
der Beseitigung von Benachteiligungen bei der Karriereentwicklung zwischen Männern und Frauen sieht. Die in diesem Kontext getroffenen Regelungen müssen aber mit dem Verfassungsrecht vereinbar sein. Die von SPD und Grünen im Jahr 2016 getroffenen Regelungen entsprechen nach Auffassung der DPolG NRW nicht den langjährigen, gefestigten  verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechungen des Art. 33 (2) GG, sind daher inkompatibel zu bestehendem Verfassungsrecht und stellen somit vollkommen ungeeignete Instrumente dar.
Bereits in der Sachverständigenanhörung zum Dienstrechtsmodernisierungsgesetz im Jahr 2016 machte die DPolG NRW seinerzeit deutlich, dass andere Instrumente gefunden werden müssten, um eine bestehende Chancenungleichheit zu beheben.
Exemplarisch wurden karrierebezogene Unterstützungsmaßnahmen für Frauen durch Vorgesetzte (Mentoring), Maßnahmen zur Verbesserung von Beruf und Familie, flexiblere Arbeitszeitmodelle auch für Führungskräfte und organisatorische Unterstützung zum Beispiel bei der Kinderbetreuung genannt. Dazu sollte nach Auffassung der DPolG NRW das Beurteilungssystem überarbeitet werden. Zudem bedarf es der Implementierung und Festschreibung von Kontrollmechanismen zur Überprüfung von
Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Beurteilungsrichtlinien oder gar in der Laufbahnverordnung. Hinzu kommt, dass Erstbeurteilerinnen und Erstbeurteiler für die Thematik stärker sensibilisiert  werden müssen. Diesem Weg wollte die damalige Landesregierung nicht folgen. Stattdessen ging man den bekannten Weg der  offensichtlich verfassungswidrigen Umsetzung der Frauenförderung und schuf auf diese Weise erhebliche Störfaktoren. Schließlich wurden die Änderungen mitten in bestehende Beurteilungsregelungen und somit auch in bestehende  Beförderungsreihenfolgen hineingesteuert. So wurde die von den Verwaltungsgerichten in zahlreichen Gerichtsverfahren  festgeschriebene Binnendifferenzierung innerhalb der Beurteilungen ausgeblendet, sodass entgegen des Leistungsgrundsatzes nur das Gesamturteil in den Vordergrund rückte. Auf diese Weise sahen sich viele männliche Mitbewerber in ihren Rechten aus  Art. 33 (2) GG verletzt. Und tatsächlich hatten die Regelungen massive Auswirkungen auf die Beförderungslisten. Dies führte bei  vielen hoch motivierten Beamten zu massiver Demotivation. Nur wegen der Zugehörigkeit zu einer Geschlechtergruppe stiegen einige in beförderungsfähige Bereiche auf und andere fielen aus denselben Gründen aus Beförderungsoptionen heraus. Die Sachverständigen der DPolG NRW führen in ihrer Stellungnahme intensiv aus, welche Stimmungslage in den Behörden seit  Einführung des Gesetzes vorherrscht. Erich Rettinghaus und Frank Mitschker merken an, dass aber nicht nur Männer  verunsichert, wütend und demotiviert sind. Auch Frauen fühlen sich um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Viele empfinden, dass  der Makel der Beförderung aufgrund des Geschlechts und nicht wegen der erbrachten Leistung an ihnen hafte. Aber die  Benachteiligung leistungsstarker Frauen geht nach Meinung der DPolG-Sachverständigen noch weiter. Schließlich kommt es  aufgrund zahlreicher Klagen zu einem regelrechten Beförderungsstopp, da die Behörden gezwungen waren, bestehende Beförderungsverfahren einzufrieren. Bei allen Klagen entschieden die Verwaltungsgerichte Düsseldorf, Arnsberg, Aachen und Gelsenkirchen gegen die von der Landesregierung getroffene Regelung. Daher forderte die CDU-Fraktion im Landtag von NRW  die Regierung auf, die bestehende Regelung zu überarbeiten. Die Landesregierung jedoch beabsichtigte auch nach einer Niederlage vor dem OVG, keinen Kurswechsel vorzunehmen. Man erklärte, dass man stattdessen bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen wolle, um die eigene Rechtsauffassung durchzusetzen. Hier lässt sich erkennen, dass ein Festhalten an der  bestehenden Regelung, wie es wohl bei einer Fortsetzung der rotgrünen Regierung zu erwarten gewesen wäre, eine jahrelange Beförderungsblockade nach sich gezogen. Erschwerend kam hinzu, dass die jeweiligen Klagen keine allgemeine Wirkung  entfaltet hätten, sondern nur auf den jeweiligen Einzelfall bezogen betrachtet werden durften. Somit hätte jeder betroffene Beamte eine individuelle Klage führen müssen. Diese Regelung hätte nur der Landesverfassungsgerichtshof (LVerfGH) aufheben  können. Aber der LVerfGH hätte sich sehr schwergetan, eine solche Entscheidung überhaupt treffen zu können. Da durch die  Landesregierung keine einheitliche Regelung vorgegeben wurde, bereitete insbesondere der unbestimmte Rechtsbegriff „im  Wesentlichen gleich“ große Probleme. Denn jede Behörde legte dieses Kriterium anders – mal weiter und mal enger – aus. Insofern war innerhalb des Landes NRW an einen einheitlichen Maßstab, orientiert an den Kriterien des Art. 33 (2) GG, nicht  mehr zu denken. Die DPolG NRW kommt in ihrer Bewertung des Antrags von CDU und FDP zu dem Schluss, dass die durch die  neue Landesregierung angestrebte Regelung (Änderung des Landesbeamtengesetzes NRW sowie des  Landesgleichstellungsgesetzes NRW) längst überfällig sei und schon von der damaligen Landesregierung aufgrund der  verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung hätte getroffen werden müssen. 

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